Eigentum

»Die richtige Wohnung zu finden ist fast so, wie sich zu verlieben«, erklärte uns die Immobilienmaklerin. Sie sah aus wie eine flotte Großmutter mit strenger Designersonnenbrille. Sie hatte blond gefärbte Haare, trug schwarze Strümpfe und einen kurzen Schal, der leger um ihren Hals geschwungen war. Drei Monate lang kutschierte sie uns in ihrem Sportwagen um Paris herum, Hugh auf dem Beifahrersitz und ich wie ein zusammengeklappter Gartenstuhl auf die Rückbank gezwängt.

Nach jeder Fahrt musste ich erst einmal wieder gehen lernen, aber das war nur ein kleines körperliches Übel. Mein eigentliches Problem war, dass ich mich bereits in eine Wohnung verliebt hatte. Unser augenblickliches Heim war perfekt, und sich nach einem anderen umzusehen kam mir treulos und geheimniskrämerisch wie ein Ehebruch vor. Im Anschluss an eine Besichtigung stand ich bei uns im Wohnzimmer, sah hinauf zu den hohen Deckenbalken und versuchte zu erklären, dass das fremde Schlafzimmer mit den zwei Betten mich kalt gelassen hatte. Hugh sah es genau andersherum und gab unserer Wohnung die Schuld für unsere Untreue. Wir hatten angeboten, ja geradezu darum gebettelt, das Haus zu kaufen, aber der Eigentümer wollte es seinen Töchtern vermachen, zwei kleinen Mädchen, die heranwuchsen und uns schließlich vor die Tür setzen würden. Der Mietvertrag hätte für fünfzehn Jahre verlängert werden können, aber Hugh wollte sein Herz nicht an eine aussichtslose Sache hängen. Als er hörte, dass die Wohnung nie wirklich uns gehören würde, rief er die Immobiliengroßmutter an, wie es seine Art ist, wenn er etwas nicht bekommt: Er ergreift die Initiative und sieht sich anderswo um.

Das Haus war für ihn gestorben, aber ich hoffte weiter auf ein Wunder. Ein Reitunfall, ein Feuer in der Spielhütte: Kleinen Mädchen kann so vieles zustoßen.

Wenn wir unterwegs waren, versuchte ich für alles offen zu sein, doch je mehr Häuser wir besichtigten, desto mehr verließ mich der Mut. War eine Wohnung nicht zu klein, war sie zu teuer, zu modern oder zu weit vom Zentrum entfernt. Ich wusste gleich, wenn es nicht Liebe war, aber Hugh befand sich auf dem Absprung und sah überall mögliche Kandidaten. Er steht auf baufällige Häuser, die er wieder aufmöbeln kann, und war Feuer und Flamme, als die Großmutter gegen Ende des Sommers ein Angebot hereinbekam, das übersetzt »ein Freudenhaus in guter Lage« offerierte. Seine Begeisterung wuchs, als wir die Treppe zum Eingang hochstiegen, und blühte auf, als die Tür aufging und uns der Geruch abgestandener Pisse aus dem Flur entgegenschlug. Die Vormieter waren ausgezogen, hatten aber überall Hinweise auf ihre Größe und ihr Temperament hinterlassen. Alles unterhalb Hüfthöhe war entweder eingedrückt, zersplittert oder mit einer Soße aus Blut und Menschenhaar beschmiert. Auf dem Wohnzimmerboden fand ich einen Zahn, und unter der Klinke innen an der Haustür war mit Rotz etwas festgeklebt, das aussah wie ein kompletter Fingernagel. Aber natürlich war das nur wieder typisch für mich, den ewigen Nörgler und Griesgram. Während ich nach dem restlichen Leichnam suchte, flitzte Hugh mit irre glänzenden Augen zwischen dem Loch, das sich Küche schimpfte, und dem Loch, das sich als Badezimmer ausgab, hin und her.

Wir hatten beide diesen Blick, als wir zum ersten Mal unsere alte Wohnung sahen, aber jetzt war er allein und fühlte etwas, das mir abging. Ich versuchte an seiner Begeisterung teilzuhaben – »Sieh nur, die verrotteten Kabel!« –, aber es klang irgendwie hohl, wie jemand, der sich mit etwas zufrieden gab und krampfhaft versuchte so zu tun, als wäre dem nicht so. Es war kein unansehnliches Haus. Die Räume waren groß und hell, und auch gegen die Lage war gewiss nichts einzuwenden. Es riss mich nur nicht vom Hocker.

»Vielleicht verwechselst du Liebe mit Mitleid«, sagte ich zu Hugh, und er erwiderte: »Wenn du so denkst, habe ich tatsächlich Mitleid, aber mit dir.«

Die Großmutter spürte meine fehlende Begeisterung und schrieb sie einem Mangel an Fantasie zu. »Manche Leute sehen nur das, was sie unmittelbar vor Augen haben«, seufzte sie.

»Hören Sie«, sagte ich, »ich habe« – und dann sagte ich das Dümmste überhaupt – »ich habe ein gutes Vorstellungsvermögen.«

Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Handtasche. »Beweisen Sie es«, sagte sie. »Der Eigentümer hat drei Angebote vorliegen, und er wird nicht ewig warten.«

Wenn die richtige Wohnung zu finden wie sich zu verlieben ist, ist eine zu kaufen so, als würde man gleich bei der ersten Begegnung einen Heiratsantrag machen und untereinander vereinbaren, sich bis zur Hochzeit nicht wiederzusehen. Wir machten unser Angebot, und als wir den Zuschlag erhielten, gab ich vor, genauso glücklich zu sein wie Hugh und seine Brautjungfer, die Großmutter. Wir trafen uns mit einem Mann von der Bank und einem Notar, den wir mit Master LaBruce ansprachen. Ich hoffte, einer von beiden würde der Geschichte ein Ende bereiten – uns das Darlehn verweigern, irgendeine versteckte Klausel im Testament ausgraben –, aber es verlief alles nach Plan. Unser Master leitete den Vertragsabschluss, und einen Tag später standen die Handwerker vor der Tür. Selbst nach Beginn der Renovierungsarbeiten stöberte ich weiter in den Immobilienanzeigen, in der Hoffnung, doch noch was Besseres zu entdecken. Ich machte mir nicht nur Sorgen, wir könnten das falsche Haus gekauft haben, sondern ebenso eins in der falschen Gegend, in der falschen Stadt und im falschen Land. »Das sind die Zweifel nach dem Kauf«, sagte die Großmutter. »Aber seien Sie beruhigt, das ist ganz natürlich.« Natürlich. Ein seltsames Wort aus dem Mund einer Achtzigjährigen ohne eine einzige Falte im Gesicht und mit Haaren in der Farbe eines amerikanischen Schulbusses.

Drei Monate nach unserem Einzug machten wir einen Ausflug nach Amsterdam, einer Stadt, die oft mit dem Satz angepriesen wird: »Da kann man so herrlich versumpfen.« Ich stellte mir neonbunte Brücken und Kanäle mit dem Wasser aus Haschpfeifen vor, aber in Wirklichkeit gleicht die Stadt eher einem Bruegel-Gemälde als einem Mr.-Natural-Comic. Wir waren begeistert von den schmalen Backsteinhäusern und dem feinen Rascheln von Fahrradreifen auf frisch gefallenem Laub. Unser Hotel ging auf die Herengracht, und schon beim Einchecken beschlich mich das Gefühl, dass wir einen furchtbaren Fehler gemacht hatten. Wie konnten wir uns in Paris niederlassen, ohne vorher die Möglichkeiten von Amsterdam zu erkunden? Wo hatten wir unseren Verstand gelassen?

An unserem ersten Nachmittag machten wir einen Spaziergang und kamen am Anne-Frank-Haus vorbei, von dem ich einigermaßen überrascht war. Ich hatte mir das Haus immer als eine schummerige Absteige vorgestellt, dabei ist es ein sehr hübsches Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert gleich an einem Kanal. Die Straße ist mit Bäumen gesäumt, und die Einkaufsmöglichkeiten und die Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz sind bestens – kurzum, ein Haus in bester Lage. Durch unsere monatelange Häusersuche hatte ich mir einen ganz speziellen Blick angewöhnt, und als ich die Leute vor dem Haus Schlange stehen sah, war mein erster Gedanke nicht Anstehen für Eintrittskarten, sondern Besichtigungstermin!

Durch den berühmten Drehschrank gelangten wir in das Hinterhaus, und als wir über die Schwelle schritten, spürte ich, was die Großmutter mit einem Blitzschlag verglichen hatte, nämlich die absolute Gewissheit, dass dies die richtige Wohnung für mich war. Dass sie mir gehören würde. Das komplette Gebäude wäre zu unpraktisch und viel zu teuer, aber der Teil, in dem Anne Frank und ihre Familie gelebt hatten, das dreistöckige Hinterhaus, besaß genau die richtige Größe und war hinreißend, was einem natürlich nie jemand sagen würde. In sämtlichen Theaterstücken und Filmen macht es immer einen tristen, altbackenen Eindruck, doch wenn man nur die Vorhänge von den Fenstern wegzieht, ist der erste Gedanke nicht »trotz allem glaube ich immer noch an das Gute im Menschen«, sondern »wen muss ich aus dem Weg räumen, um an diese Wohnung zu kommen?«. Das soll nicht heißen, dass mir nicht die eine oder andere Veränderung vorgeschwebt hätte, aber der Grundriss war da und klar zu erkennen, da man sämtliche Möbelstücke und privaten Gegenstände entfernt hatte, die einen Raum in der Regel deutlich kleiner wirken lassen.

Hugh blieb stehen, um die Bilder der Filmstars zu betrachten, die Anne auf die Wand ihres Zimmers geklebt hatte – eine Wand, die ich persönlich eingerissen hätte –, während ich gleich weiter ins Badezimmer eilte und mir das Wasserklosett mit der Schüssel aus Delfter Porzellan ansah, die tatsächlich so aussah wie eine große Suppenschüssel. Danach ging es die Treppe hoch in die Küche, ein Raum mit zwei Fenstern, in dem gekocht und gegessen wurde. Die Küchenplatte müsste raus, und es müssten auch komplett neue Installationen verlegt werden, aber als Erstes würde ich den Holzofen rauswerfen und den alten Kamin wieder flott machen. »Das ist der Blickfang dieses Raums«, hörte ich die Großmutter sagen. Das Zimmer neben der Küche schwebte mir als Arbeitszimmer vor, doch dann sah ich den Dachboden mit den reizenden Giebelfenstern, und aus dem Zimmer neben der Küche wurde eine kleine Schlafkammer.

Dann ging es wieder runter zu einer zweiten Inspektion der Toilettenschüssel, von dort hoch, um noch einmal die Küchenplatte in Augenschein zu nehmen, die, genauer besehen, auch bleiben konnte. Oder doch nicht? Es war nicht leicht, in Ruhe nachzudenken, mit den vielen Leuten im Haus, die einem die Treppe versperrten und große Reden schwangen. Eine Frau mit einem Disneyland-Sweatshirt stand in der Tür und machte Fotos von meinem Waschbecken, und ich stieß sie absichtlich am Arm, damit die Bilder verwackelten und nicht viel hermachten. »He Sie!«, sagte sie.

»Oh, ›He Sie‹ auch.« Ich war wie im Rausch, und das Einzige, was zählte, war diese Wohnung. Es hatte nichts mit der Berühmtheit der einstigen Bewohner oder der Geschichtsträchtigkeit des Hauses zu tun und war etwas anderes, als eine Wimper von Maria Callas oder einen Unterrock von J. Edgar Hoover zu besitzen. Natürlich würde ich erwähnen, dass ich nicht der erste Mensch in diesem Haus war, der ein Tagebuch schrieb, aber das war nicht der Grund, warum ich mich in es verliebt hatte. Auch wenn es ziemlich bekifft klingt, aber ich hatte das Gefühl, als wäre ich endlich zu Hause angekommen. Eine grausame Laune des Schicksals hatte mich aufgehalten, aber jetzt war ich zurückgekehrt, um mein rechtmäßiges Erbe anzutreten. Es war das großartigste Gefühl der Welt: Aufregung und Erleichterung, verbunden mit der trunkenen Vorfreude, etwas zu erwerben und ganz nach seinen Wünschen einzurichten.

Ich kehrte erst in die Wirklichkeit zurück, als ich zufällig aus dem Hinterhaus in das angrenzende Gebäude trat, das heute Teil eines Museums ist. Über einem Schaukasten hing in großen, unübersehbaren Lettern ein Ausspruch Primo Levis an der Wand: »Eine Einzelperson wie Anne Frank erweckt mehr Anteilnahme als die Ungezählten, die wie sie gelitten haben, deren Bilder aber im Dunkeln geblieben sind. Vielleicht muss es so sein; müssten oder könnten wir die Leiden aller erleiden, könnten wir nicht leben.«

Er sagte nicht ausdrücklich, dass wir nicht in ihrem Haus leben konnten, aber das war zweifellos auch gemeint, und der Ausspruch vertrieb nachhaltig jeden Gedanken an Besitz. Das Tragische an Anne Franks Schicksal ist, dass sie es beinahe geschafft hätte, dass sie und ihre Schwester nur wenige Wochen vor der Befreiung ihres Lagers starben. Nachdem sie zwei Jahre in ihrem Versteck ausgeharrt hatten, hätten sie und ihre Familie es bis zum Ende des Kriegs schaffen können, wenn sie nicht ein Nachbar, dessen Name nie bekannt wurde, verraten hätte. Ich sah aus dem Fenster und fragte mich, was für ein Mensch so etwas tun konnte, und bemerkte plötzlich mein Spiegelbild in der Scheibe. Dahinter, schräg über den Hof, fiel der Blick auf eine ganz entzückende Wohnung.